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THEATERSTÜCKE

Nosferatu. Ein Nachtstück

in der Textfassung von Helmut Landwehr

Vorspiel

Van Helsing

 

Ich schreibe dir am späten Abend aus Bistritz, mein Freund, weil ich mir Sorgen mache um Mina und weil ich von seltsamen Ahnungen beunruhigt werde, die ich niemand sonst anvertrauen kann; vor allem bitte ich dich, Mina nichts davon mitzuteilen, um die Angst nicht zu verstärken, die sie ohnehin um mich hat. Ich habe dir in der Eile meiner Abreise wohl auch nicht eindringlich genug deutlich gemacht, wie sehr sie unter dem Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit leidet – geradezu krankhaft leidet -, obwohl sie weiß, dass ich mein Treueversprechen nicht brechen und baldmöglichst zurückkehren werde. Ich habe es einmal erlebt, wie sie – weil ich nach einem Termin außerhalb Londons, der sich sehr lange in die Nacht hinein gezogen hatte, nicht nach Hause gekommen, sondern vor Ort geblieben bin – wie sie voller Panik, mich am nächsten Morgen nicht zu Hause angetroffen zu haben, die Polizei aufgesucht hatte, mit dem Auftrag, mich als Vermissten zu suchen. Kurz, es ist sehr wichtig, ihr nahe zu sein und gut auf sie achtzugeben.

Ich bin hier im Hotel Goldene Krone, wo mir Graf Dracula ein Zimmer reserviert hat; die Leute sind sehr freundlich, waren jedoch hell entsetzt, als sie hörten, dass ich beabsichtigte, mit der Postkutsche zum Borgopass und von dort mit der Kutsche des Grafen in dessen Schloss weiterzureisen. Sie behaupteten, in der kommenden Nacht, der St. Georgsnacht, hätten „alle bösen Dinge dieser Welt freien Lauf.“ Die Wirtin hat mich auf Knien angefleht, nicht zu reisen, und mir dann einen Rosenkranz mit einem Kruzifix umgehängt. Du weißt, wie wenig ängstlich ich bin und dass ich es geradezu lächerlich finde, mit christlichen Symbolen Gespenster des Aberglaubens zu vertreiben, aber unbehaglich ist mir doch zumute und ich weiß nicht, auf was oder wen ich mich da einlasse.

Zuletzt habe ich eben, um vor dem Schlafen noch ein wenig zu schmökern, ein Buch in der Hand gehabt, in dem es um die Erscheinung eines Nosferatu geht; ich werde dir nach meiner Rückkehr davon erzählen, aber sie geht – wie es oft bei Legenden der Fall ist – auf eine historisch verbürgte Person zurück, den christlichen Kämpfer gegen die Türken, Fürst Vlad III., einen grausamen Pfähler, was ihm den Beinamen „Tepesz“ einbrachte – er soll nicht nur Feinde, sondern auch eigene Soldaten, wenn sie nicht tapfer genug kämpften, ja sogar ganz Dörfer einschließlich Frauen und Kinder auf die grausamste Weise zu Tode gebracht haben, um die Türken abzuschrecken oder auch davor zu warnen ihnen zu helfen – Tausende Toter oder Sterbender auf Pfählen, ganze Felder übersät. Auf ihn werden die sogenannten Untoten zurückgeführt, die nachts aus den Gräbern kommen und Menschen, insbesondere Säuglinge und kleine Kinder, wohl auch junge Frauen töten, indem sie ihnen das Blut aussaugen.

Vermutlich war es ein Fehler, das Buch vor der Nacht noch aufzuschlagen; ich werde schwer träumen und schlecht schlafen. Warum ich dir das alles noch schnell schreibe und morgen den Wirtsleuten zur Post gebe, weiß ich selbst nicht recht, aber du hattest mich gewarnt vor der Reise in die Karpaten und vor diesem Dracula – vielleicht hast du doch recht gehabt. Wir werden sehen. Ich bin jetzt allerdings noch viel neugieriger geworden, als ich es vorher schon war; in London werden wir bei einem Punsch sicher viel darüber reden!

 

 

Ja, so kenne ich dich, Jonathan Harker, je mehr Schrecken und Grauen, je mehr Warnungen, desto mehr Lust auf das Abenteuer! ... 

Nur die kleine Mina! ... Sie soll sich nicht ängstigen, … oder doch? … hm, Jonathan, … wenigstens ein bisschen … ein wenig ängstigen soll sie sich doch?

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